Ein Tag mit Hanna und Marla (alphabetische, wertungsfreie Reihenfolge!)

Wer den MSC-Newsletter aufmerksam bis zu Ende durchliest, stolperte im Mai über die Anfrage, ob jemand den neuen 49FX nach der Taufe für Hanna und Marla nach Marseille fahren könne.
Das hört sich doch für einen frischgebackenen Rentner nach einer guten Aufgabe an!
Mal etwas Pre-Olympia-Luft schnuppern und gleichzeitig unsere Heldinnen unterstützen. Also direkt eine Mail an Grit. Ich war der erste, und so bekam ich den Auftrag.

Nach kurzer Kommunikation war geklärt, dass die beiden am Montag fliegen und mittags landen würden, bis dahin sollte das Boot bitte da sein. Wo genau? Standortnadel in Apple Maps schafft Klarheit, laut App gut 13 Stunden Fahrzeit, mit Hänger sollte das in 20 Stunden machbar sein. Ob es denn für mich eventuell eine Möglichkeit gäbe, noch einmal auf dem Trainerboot mit aufs Wasser zu kommen und zuzuschauen? Das sollte sich wohl machen lassen, der Trainer kommt am Dienstag Mittag. Also Hotelzimmer zum Dienstag und Rückflug für 17:30 buchen und schon mal freuen!
Der DSV hat natürlich gleich die Gelegenheit genutzt und noch ein Trainer-Schlauchboot und den 470er der Trainingspartner des Olympiateams mitgegeben, somit wurde es ein dreistöckiger Hänger. Laut den Mädels passte er hier unter einer 3,80 m S-Bahnbrücke problemlos durch. Das ist doch schon mal eine Aussage! An einer Tankstelle mit viel Ruhe, aussteigen und Schauen gingen auch 3,60 problemlos, aber viel weniger sollten es nicht sein.

Auf nach Marseille

Also nach der Tauffeier gleich mit beim Zusammenpacken und Verladen schauen, was wo wie aufgeladen und festgezurrt ist. Mit eingeplanter Reservezeit ging es dann am Sonntag früh um 3:30 Uhr los. Elbtunnel gesperrt, mit Gespann durch die Stadt, aber um die Zeit kein Problem. So blieb es dann zum Glück auch, bis auf einen ganz kurzen Stau freie Fahrt, mit zwei kurzen Pausen war ich dann um 23:00 hinter Lyon und entschied, dort auf einer Tank-Raststätte einige Stunden zu schlafen um nicht mitten in der Nacht
in Marseille anzukommen. Früh morgens ging es dann weiter und zusammen mit dem Berufsverkehr etwas schleppend in Richtung Stadt. Dann wollte mich die Route durch den 3,20 m hohen Stadttunnel leiten, dessen Höhe vorher nirgends angekündigt ist. Erst etwa 50 m davor… Also schnell noch rechts vorbei. Dafür geriet ich dann in die Altstadt voller enger und winkeliger Einbahnstraßen. Eine Runde um die Kathedrale und viele erstaunte Blicke später hatte ich mich da wieder rausgewühlt. Tourismusprogramm mit Altstadtbesichtigung abgehakt.

Im derzeit noch vorläufigen Olympiastützpunkt angekommen wurde ich von den 470er Teams herzlich begrüßt und nach einer Führung durch den Stützpunkt (zwei ausgebaute Container mit Büro/Besprechungsraum/Lounge sowie bestens eingerichteter Werkstatt, Bootsstellplatz, Mastenlager und ‚Marktplatz‘, der von den dort anwesenden 8 Nationen gemeinsam genutzt wird) und kurzem Plausch ging es ans Abladen der Jollen.
Rundherum freundliche, entspannte aber emsige Atmosphäre. Beide Boote gut abgeladen, das 470er Team machte sich an den Aufbau ihres Bootes und für mich wurde es Zeit, zum Flughafen zu fahren um Hanna und Marla abzuholen.

Zurück im Stützpunkt geht es auch bei den beiden gleich los. Das ‚alte‘ Boot nach der zweiwöchigen Pause gründlich sauber machen, umdrehen, das Gleiche von unten, wieder umdrehen, Mast stellen. Ein wenig kann (und darf!) ich auch mit anfassen und viel lernen. Kurze Lunchpause. Dann das Schlauchboot ins Wasser, den neuen Mast zusammenbauen, alles sortieren und wegräumen, sehr viel Platz ist nicht. Die Worklist ist umfangreich und wird Stück für Stück konzentriert abgearbeitet.
Nach vollendetem Tagewerk beziehe ich mein Hotel und Hanna und Marla ihr Appartement für die nächste Zeit. Ein richtiges olympisches Dorf wird es in Marseille nicht geben, zunächst ist noch jeder selbst für seine Unterkunft verantwortlich, ab kurz vor den Spielen ziehen die Aktiven dann in zwei große Hotels. Auch der Bootsstützpunkt wird in etwa zwei Wochen dann einmal für zwei Tage komplett geschlossen, alle Container, Boote und Ausrüstungsteile einer gründlichen Sicherheitskontrolle unterzogen und dann an den endgültigen Hafen auf der anderen Seite der Bucht verlagert, der dann auch komplett abgeschirmt und nur mit Sonderausweis und jedesmaliger Sicherheitskontrolle zu betreten sein wird.

Danach treffen wir uns wieder und gehen gemeinsam zum Abendessen. Jetzt ist Zeit, die beiden ausgiebig nach dem Verlauf ihrer Kampagne, Trainings- und Olympiateampartnern auszufragen. Sie erzählen ausführlich über alles und jeden. Ich kenne immer nur die Eltern und teilweise die, die jetzt Trainer sind, was wir alle drei sehr lustig finden. Die Welt ist da doch recht klein. Die Beiden empfehlen mir noch, bei einem Getränk den Sonnenuntergang hinter der gegenüberliegenden Insel zu genießen und machen sich auf den Heimweg. Ich folge ihrem Ratschlag und der Sonnenuntergang ist wirklich sensationell.

Erstes Training vor Ort

Am nächsten Tag werde ich im Stützpunkt gleich mit einem lächelnd-strahlenden ‚Guten Morgen‘ begrüßt. Die gute Laune ist einfach ansteckend und ich freue mich sowieso schon auf einen ereignisreichen Tag. Es weht noch kräftiger Mistral, erst für den nächsten Tag ist mit weniger Wind zu rechnen. Segeln wollen die beiden trotzdem. Das ‚alte‘ Boot wird vorbereitet und ich kann mich am besten nützlich machen, indem ich ihnen die Fahrt zum Flugplatz abnehme und ihren Trainer Tom Saunt abhole. Klappt alles prima und bei unserer Rückkehr ist alles fertig. Kurze Vorbesprechung: Was wollt ihr
machen? Einfach nach zwei Wochen Pause etwas warmsegeln und bei den vorhergesagten 17-19 kn Wind und der kräftigen Welle etwas üben. Also los. Die Mädels schieben ihr Boot zum Slip, der direkt am Meer liegt, Tom und ich gehen zum Trainerboot im Hafen. Tom installiert seine Windmessanlage, ich pumpe
Trainingstonnen auf, die werden wir allerdings heute nicht brauchen werden. Mit einsatzklarem Trainerboot geht es dann aus dem Hafen zum Slip, wo die beiden schon oben warten.

Zur Erinnerung: Ein Skiff ist ein Boot, das allein nicht aufrecht schwimmt, sondern umkippt und daher ständig aktiv ausbalanciert werden muss. Der 49FX ist ein Skiff. Bei dem schräg auflandigen Wind und der dazugehörigen kräftigen Welle ist das Zuwasserlassen und (ohne Schwert und Ruder) Losfahren schon die erste richtige Herausforderung. Wir können nicht helfen, der Slip ist recht flach und wir kommen nicht
heran. Die beiden meistern das problemlos, die seit frühester Jugend geübten Optistarts vom Slip zahlen sich jetzt aus. Etwas rausfahren und erstmal ran ans Trainerboot, den FX etwas krängen lassen, Tom fährt dicht heran und dann den Luv-Wing auf dem Schlauch ablegen. Bei dem Wind und Welle müssen drei Leute den Wing herunterdrücken, damit er fest liegt. Somit bin ich auch zu etwas gut und Tom kann auf dem Fahrersitz das Gespann im Wind halten und frontal besser sprechen. Der Trimm wird noch etwas
angepasst und dann heißt es ‚Ablegen‘, Boot wieder etwas krängen lassen, losfahren, Trainerboot rückwärts raus. Es weht schon ordentlich eher an der Obergrenze der Vorhersage.

Von Anfang an Vollpower, aber das Boot ist fast immer aufrecht und auch die Welle, aus der das Boot teilweise bis hinter das Schwert herausschießt bringt die beiden nicht aus dem Konzept. Es muss noch etwas nachgetrimmt werden, etwas depowern, Marla segelt und balanciert das Boot allein, Hanna geht in die Mitte und passt die Riggspannung an. Das alles bei zwei Meter Welle. So geht es mit kurzen Zwischenbesprechungen und weiteren Trimmanpassungen am Trainerboot quer über die Bucht in Richtung Insel, vielleicht ist da etwas weniger Welle. In der Ferne sehen wir die derzeit überragenden Schwedinnen gemeinsam mit den Holländerinnen und Norwegerinnen. ‚Wir‘ bleiben aber beim geplanten Warmsegeln. Einige Wenden klappen problemlos, aber Wind und Welle erfordern harte Arbeit. Irgendwann sind wir fast an der Insel angekommen.

Mehr Wind – Gennacker raus!

Die Welle ist nur unwesentlich weniger, dafür hat der Wind jetzt auf 20-22 zugelegt. Kurze Besprechung. Hanna und Marla möchten den Gennacker herausziehen und auch mindestens eine Halse möchten sie probieren. Es ballert ordentlich. Ablegen Fahrt aufnehmen, abfallen, Gennacker hoch. Alles perfekt. Das
Motorboot hat es nicht leicht, hinterherzukommen. Rein in die Halse, noch etwas vorsichtig, aber auch die funktioniert. Die Welle kommt jetzt genau von hinten und nach einer Weile ereilt sie dann doch das Schicksal in Form eines Steckers. Hanna haut es ordentlich ins Wasser und vom vielen Meerwasser in Nase, Nebenhöhlen, Mund und wohl auch Magen ist ihr etwas unwohl und die beiden nehmen sich eine kleine Auszeit auf dem gekenterten Boot. Aber schon kurze Zeit später erscheint wieder das fröhliche
Lachen und das Boot wird wieder auf die Seite gelegt. Marla ins Wasser, um’s Boot schwimmen, Gennackerfall los und das Segel in die Tüte Ziehen. Dann richtet Hanna das Boot auf und im Aufrichten sind beide wieder im Boot und balancieren es trotz der Welle sicher aus (siehe Abhandlung ‚Skiff‘….).

Kurz ans Boot, sie wollen noch weitermachen. Die andere Gruppe in der Ferne macht offensichtlich ein ähnliches Programm und auch da ‚verschwindet‘ hier und da ein Boot für eine Weile. Ablegen, beschleunigen, abfallen, Gennacker wieder hoch. Die nächste Halse läuft mit mehr Selbstvertrauen noch flüssiger. Jetzt einige Meilen eher quer zur Welle in Richtung innere Bucht und Hafen. Das MoBo ist an der Grenze seiner Möglichkeiten, die Mädels sehen konzentriert und sicher aus. Noch eine saubere Halse, dann erwischt eine große Welle Marla, so dass es sie aus den Fußschlaufen hebt. Kurzer Kampf, fast ist sie wieder drin, aber dann kentert das Boot doch noch, diesmal nicht ganz durch. Es folgt die gleiche Prozedur zum Aufrichten und ran ans Schlauchboot. Die Mädels strahlen, das ist bei den Bedingungen bestens gelaufen! Auch die andere Gruppe hat offenbar nicht ‚mehr‘, also kein Um-die-Tonnen-Fahren gemacht. Das soll für heute reichen. Tom und ich sitzen auf dem Wing, Hanna und Marla nehmen das Großsegel runter, wir rollen es gemeinsam auf und legen es ins MoBo. ‚Gemütlich‘ geht es nur unter Fock in Richtung Hafen, allerdings jetzt fast ohne Druck und daher in der Welle recht schaukelig (siehe Abhandlung ‚Skiff‘…). Tom meint, jetzt sei alles sicher und nach kurzer Rückversicherung bei den beiden bringt er mich zum Slip. Dort abspringen, nass bin ich sowieso. Die Antwort auf die Frage der anderen, wie es war, macht mein breites Grinsen überflüssig.
Bootsbauer Olli besorgt mir ein ‚UBER‘ während ich mich umziehe, die Gemeinschaft
und Stimmung da ist schön! Schwer beeindruckt sitze ich im Auto zum Flughafen.

Liebe Hanna, liebe Marla, danke für den tollen Tag! Ich wünsche euch alles Gute und viel Glück für die Regatten. Behaltet euer Lachen und eure Freude am Segeln, genießt die Spiele, in der Weltspitze seid ihr sowieso!

Dazu gibt es viele Fotos und Videos (Amateuraufnahmen vom Handy) hier

Text und Fotos: Lorenz Jensen